Blog Niger

11.12.2010: Sannu (von Andrea)

Nun bin ich schon länger als einen Monat hier in Galmi. Höchste Zeit meine Erfahrungen ein wenig zusammenzufassen und mit dir zu teilen. Das ist gar nicht so einfach, habe ich doch wirklich sehr viel neues gesehen und erlebt. Schon der Flug hierher, mit dem 4-Personenflugzeug, wo ich direkt neben dem Pilot sitzen durfte, ist ein Abenteuer für sich.


Die ersten 2 Wochen habe ich (und ebenso mein Verdauungsapparat) an dem sogenannten „Kulturschock“ gelitten. Der Spital war, als ich hier angekommen bin, ziemlich überbesetzt. Die vielen kranken Kinder, die etwas anderen Vorstellungen von Hygiene und der für mich andere Spitalduft waren für mich nicht einfach. Auch die Kommunikation war zu Beginn eine grosse Herausforderung (und ist es zum Teil immer noch...), auf dem Compound wird hauptsächlich Englisch gesprochen, während im Spital und auch im Dorf Französisch als Standartsprache gilt. Wobei man sagen muss, dass das schon nicht gerade unser gelerntes Schulfranzösisch ist... Die meisten Patienten und Dorfbewohner haben leider auch keine Schulbildung und sprechen deswegen nur Haussa. Es wird dich wohl nicht wundern, dass einige meiner ersten gelernten Worte auf Haussa Erbrechen und Durchfall waren ;)


In meinen ersten 2 Wochen war ich auch immer wieder damit beschäftigt herauszufinden, was ich wo und wann einkaufen kann. Es hat hier einen kleinen Tante Emma Laden, der 2mal pro Woche für jeweils 1 Stunde geöffnet hat. Eier kann man alle 2 Wochen bestellen, Weissbrot wöchentlich, Früchte und Gemüse verkauft Osman am Montag. Hier lerne ich richtig zu handeln, was ich meistens immer noch als echt anstrengend empfinde. Ziemlich sicher zahle ich oft auch ein wenig drauf… Fleisch wird am Mittwoch verkauft, da kommt der Metzger mit seinem Motorad und hat das Fleisch gleich auf dem Packträger inkl. Fliegenschwarm (siehe Foto). Ja die Migros fehlt mir hier halt schon, sowie Schockolade, Gummibärchen, frische Milch (hier gibt’s nur Milchpulver), einheitliche Preise, Käse, Fleisch und und und.


Ich habe hier einen kleinen gemütlichen Bungalow, mit Gasofen und Gasherd (ja ich kann mittlerweile damit kochen, siehe Spitzbuebenguetzli!), Kühlschrank, Dusche und WC - bin also ziemlich verwöhnt. Nur muss ich hier öfters mal nach der Fliegenklatsche greifen um irgendwelches Ungeziefer davon abzuhalten, mit mir mein Heim oder Essen zu teilen. Den Compound teilen sich Leute mit ganz verschiedenen Nationalitäten: Deutschland, USA, Kanada, New Zealand, Australien, Northern Ireland, Niger, Nigeria, Frankreich und 2 Schweizerärztinnen. Es ist immer etwas los und es scheint hier wichtig zu sein, seine Heimatkultur aufrechtzuerhalten. Somit konnte ich hier mein erstes richtiges Thanksgiving mit einem echten (importierten) Truthahn feiern oder an einem Cookieexchange teilnehmen.


Wie ihr ja wisst, arbeite ich im Spital Galmi. Wenn man weiss, dass hier die Lebenserwartung bei ca. 44 Jahren liegt (Zahlen varieren je nach Quelle), die Kindersterblichkeit bei 269 pro 1000 Kindern, weniger als die Hälfte der Menschen hier lesen und schreiben können und 63% der Menschen mit einem Einkommen von weniger als 1 US$ pro Tag auskommen müssen, kann man sich ansatzweise die Bedingungen hier vorstellen. Hauptsächlich arbeite ich auf der Kinderstation, was mir wirklich grosse Freude macht. Ich bin die einzige weisse Pflegende hier, was mir zu Beginn ziemlich komisch vorkam. Die Vor- und Nachteile der Funktionspflege lerne ich hier ganz praktisch kennen. Das meiste läuft wirklich ganz anders als zuhause. Witzig finde ich vor allem die Tatsache, dass die meisten Dinge, die in der Schweiz nur von Pflegenden und Ärzten gemacht werden, hier Arbeit der Pflegehilfe ist, um z.B. nur das legen einer Magensonde oder die Aszitespunktion zu nennen. Ich bin jedoch wirklich beeindruckt, wenn ich sehe wie viele Patienten hier mit so wenig Pflegepersonal betreut werden. Es ist aber auch zu erwähnen, dass die ganze Körperpflege der Familie überlassen ist (was man sich in der Schweiz ja gar nicht vorstellen könnte).


Die Pflegenden übernehmen hier auch teilweise das Stellen der Diagnosen, letzte Woche habe ich auf der PMI Klinik gearbeitet wo ich und Ajuba 55 Kinder pro Tag behandelt oder an die Ärzte weitergeleitet haben. Man sieht hier wirklich vieles, was man zuhause nicht kennt. Hauptsächlich Malaria und Mangelernährung (die Eltern wissen einfach nicht, welche Lebensmittel für ihre Kinder geeignet sind, oder was ausgeglichene Ernährung bedeutet), Meningitis, Tuberkulose, Sichelzellanäemie, Vergiftungen durch traditionelle Medizin oder auch nekrotische Arme und Beine, weil ein offener Bruch durch traditionelle Medizin behandelt wurde, um nur einige Diagnosen zu nennen. Eines meiner Highlights war der Tag im Ops. Wenn man in der Schweiz bei einer Operation zu sehen darf, sieht man eigentlich nicht viel, die Sicht wird von so vielen Assistenzärzten und Opspflegern versperrt (nein, wir haben keine Zuschauertribüne wie bei Greys Anatomie). Hier standen nur ich, die Ärztin und der Opspfleger im Saal und ich konnte ganz viele Fragen stellen und ganz genau zusehen. Am schönsten war der Kaiserschnitt wo ein richtig gesunder Bursche zur Welt kam.


Die Freundlichkeit, Herzlichkeit, Geduld und Fröhlichkeit der Menschen hier ist wirklich phänomenal! Wie erwähnt bin ich ja die einzige weisse Pflegende hier und verbringe darum sehr viel Zeit mit den Einheimischen. Es macht wirklich Spass, sie über ihre Kultur auszufragen oder auch von meiner Kultur zu erzählen. Oft gibt es dann auf beiden Seiten ziemlich ungläubige Gesichter ;) So z.B. als ich erzählt habe, dass man in der Schweiz die Kinder nicht auf dem Rücken herumträgt sondern in einem Kinderwagen vor sich her schiebt. Hier in Galmi gibt es so viele Kinder, dass man ernsthaft mit Staugefahr wegen Kinderwagen rechnen müsste… Es gibt auch sonst allerhand lustiges beim Entdecken einer anderen Kultur. Schon oft habe ich während der Arbeit von irgendwelchen Personen Kaugummis erhalten und mich ein wenig gewundert warum. Bis ich gemerkt habe, dass die Kaugummis als Einladung für eine Taufe oder eine Hochzeit dienen ;) Oder an einem anderen Tag, als die Regierung die Verfassung fertig gestaltet und am Abend ganz spontan ausgerufen hat, dass der nächste Tag ein nationaler Feiertag ist.


Einiges stimmt mich auch traurig. Viele Einheimische hatten Kinder, die früh gestorben sind, einige Frauen müssen sich ihren Ehemann oder Vater mit anderen Frauen oder Müttern teilen (die Polygamie ist hier weit verbreitet), viele Ehemänner sind irgendwo im Ausland um Geld aufzutreiben oder Patienten werden vor Spitaleintritt durch traditionelle Medizin falsch behandelt.


So, ich hoffe, ich habe dir nun einen kleinen Einblick verschafft. Es geht mir hier wirklich gut, vor allem wenn ich weiss, dass Andreas bald kommt! Ich freue mich aber auch auf Zuhause, auf meine Familie und meine Freunde, aufs Arbeiten im Kanti, aufs Händedesinfektionsmittel, die Bezugspflege ;) und die Migros!


Se enjoma – Bis bald!

 

05.12.2010: Vorbereitungen (von Andreas)

Nun freue ich mich riesig, in 10 Tagen zu meiner Frau in den Niger zu reisen! Andrea hat sich bisher sehr gut eingelebt und erlebt eine sehr spannende und intensive Zeit in einem Spital im Niger. Das Spital versorgt Menschen in einem Umkreis von etwa 50 Kilometer, wobei der Weg ins Spital bei diesen Distanzen für die meisten Patienten sehr abenteuerlich ist, entweder per Taxi neben 10 anderen Menschen und 5 Ziegen oder per Esel oder Handkarren. Ich war vor 4.5 Jahren in diesem Spital tätig und dieses Erlebnis hat mich sehr geprägt. Daher freue ich mich nun sehr auf den Abflug. Zuerst ist aber noch packen angesagt. Durch die Geschenke an Freunde im Niger, von der Schweiz gespendete Medikamente für das Spital und meine Habseligkeiten quillt mein noch in 2 Koffer zu verstauendes Gepäck jetzt schon über! Jeden Tag freue ich mich mehr auf den Abflug in Richtung Wärme :) .