Galmi 2006
20.03.2006: Nach gut 30 Stunden Reise bin ich gut und mit allem Gepäck in Galmi angekommen. Alles ging aber ohne nennenswerte Verzögerungen. Das erste Highlight beim Aussteigen für mich war, dass der Winter schnellstens vergessen war, von -2 Grad in Zürich auf +44 Grad in Niamey... Das kann man nur in der Sauna schneller haben ;-). Als ich die Kontrollen etwa so schnell passiert hatte, wie normalerweise in Zürich, wurde ich vom Chefarzt der Galmi-Klinik Don und seiner Frau Jenny persönlich abgeholt und herzlich empfangen. Sie waren im Urlaub und hatten vor, mit mir und einer weiteren Aerztin aus den Staaten die 700 km weiter von Niamey auf
Galmi zu reisen.
So übernachteten das Aerzteehepaar und ich in Niamey und reisten am Tag darauf mit der SIM-Air nach Galmi. Dies war fantastisch für mich dank meiner Begeisterung fürs Fliegen! Ich durfte direkt neben Jimy, dem Piloten auf dem Copilotensitz Platz nehmen und wieder mal etwas Pilotenluft schnuppern 9 Jahre nach meinen ersten und einzigen Flugstunden.
Die Ankunft in Galmi war sehr herzlich. Ich wohne jetzt in einem relativ grossen Bungalow mit allem was das Herz begehrt, unter anderem eben auch mit Internetanschluss via Satelit. Wenn ich so durch das Dorf schlendere und die doch sehr armen Verhältnisse ausserhalb der Mittarbeiterwohnungen sehe, ist es für mich schon ziemlich schwierig diesen Komfort auch so richtig zu geniessen. Heute morgen beim Verlassen des Bungalows wähnte ich mich aber echt in den Ferien irgendwo in der Toscana, nur fehlte natürlich das Meer... Einen Eindruck aus der Vogelperspektive auf das Spitalareal gibt das Bild Galmi016.jpg Hier arbeiten noch ziemlich viele Europäer und Amerikaner, unter anderem auch Schweizer, so dass ich nicht aus der Übung mit dem Schweizerdeutsch komme. Hauptsächlich wird hier Haussa ('Sannu' heisst 'hallo' auf Haussa), Französisch und Englisch gesprochen. In diesem freundlichen Umfeld hier macht es sehr grossen Spass, alle Sprachen kreuz und quer zu verwenden oder zu verwenden versuchen ;-). Jetzt habe ich mich gut anklimatisiert und werde morgen mit der Arbeit beginnen. Davor habe ich doch recht grossen Respekt, da die Herausforderung dieser Krankheiten sehr gross sein wird.
30.03.06: Wow, die Sonnenfinsternis gestern war genial! Ich bekam sehr kurzfristig und überraschend doch noch die Gelegenheit, mit der Spitaldirektorin Linda und der amerikanischen Jugendpastorin Kristel ins 200 km entfernte Leprakrankenhaus nach Danja (nahe Maradi) zu fahren, um dort die Sonnenfinsternis zu erleben. In der Voraussicht, dass wegen der Sonnenfinsternis wenige Patienten ins Spital kommen würden, erhielt ich diesen Tag frei trotz momentaner Personalknappheit (alle Aerzte wollten wie ich die Sonnenfinsternis sehen ;-)). Im Radio wurde ständig dazu aufgerufen, wegen der Sonnenfinsternis Kinder nicht nach draussen zu lassen (wegen drohender Augenschäden) und da Radiohören eine Lieblingsbeschäftigung der Nigerer ist und gut die Hälfte der Nigerer jünger ist als ich (Lebenserwartung der Bevölkerung ist je nach Quelle 42 – 48 Jahre und eine Frau gebiert normalerweise etwa 7 Kinder), blieben dementsprechend die Patienten denn auch wirklich mehrheitlich aus. Ich konnte so den Tag in vollen Zügen geniessen! Nach einer sehr holprigen Fahrt angekommen kam der grosse Moment und die Sonne versteckte sich langsam hinter dem Mond, bis es plötzlich von relativ hell auf stockfinstere Nacht wechselte und nur noch die Corona der Sonne sowie einzelne helle Sterne zu sehen waren; zwei oder drei Minuten, die ich bestimmt nie mehr vergessen werde, einfach genial. Als ich schliesslich voll geblendet wurde und der Hahn krähte, erwachte ich aus meiner Faszination und erhielt eine interessante Führung durch das Lepraspital von Danja.
Am Nachmittag besichtigten wir noch die drittgrösste Stadt vom Niger, Maradi. Diese Stadt ist vor allem bekannt durch eine turbulente Geschichte und eine (erfolglose) Revolte durch moslemische Extremisten aus Nigeria im Jahr 2000 und daher ist doch alles was nicht nach einer Moschee aussieht ziemlich gut gesichert. Auch sind die Polizei und das rote Kreuz/roter Halbmond überall präsent. Eine Anmerkung zum Roten Kreuz ist, dass hier die Fahrzeuge immer mit beidem, also rotem Kreuz und rotem Halbmond gekennzeichnet sind, weil der Niger politisch sakulär ist. Die Tatsache, dass aber an jeder Ecke (d.h. im Abstand von etwa 50 Meter) eine jeweils gut besuchte Moschee steht, die teilweise nur aus einem Holzhüttchen und einem Gebetsteppich besteht und während den 5 täglichen Gebetszeiten den Verkehr auf der Strasse blockiert, illustriert gut, dass gegen 98% der Bevölkerung hier moslemisch sind. In Maradi haben wir während eines Tankstopps 4 Amerikaner mit jeweils einem kühlen Coke in der Hand getroffen, die ausschliesslich wegen der Sonnenfinsternis für nur 4 Tage in den Niger gereist sind. Es gibt nichts, was es nicht gibt... Wir gingen am Nachmittag in einem Privatclub schwimmen, bei dem der Eintrittspreis etwa 70 Bananen wert war und der nur von Ausländern besucht wurde. Vom Komfort her kam er zwar nie an ein Touristenressort aus einem Reiseprospekt heran, aber nachdem ich mich an einen doch sehr einfachen Lebensstil hier gewohnt hatte, war das Bad im kühlen Wasser bei 40° Aussentemperatur Luxus pur. Es gäbe noch viel mehr zu erzählen über meine Freizeitaktivitäten, zum Beispiel wie ich beim Fahren auf der schmalen und von Löchern durchzogenen Strasse Eseln, Velos und Fussgängern ausgewichen bin, wie viel Freude die Einheimischen an unseren Sonnenfinsternisbrillen hatten oder auch über das geniale Picknick mit Übernachtung unter dem fantastischen Sternenhimmel.
Ich möchte aber noch über meine Arbeit hier im Spital und über die Kirche berichten. Allgemein ist zu sagen, dass es extrem spannend und ebenso herausfordernd ist, hier im Spital zu arbeiten. Wenn viele Patienten anfallen, werde ich voll eingesetzt, teilweise sogar ohne dass mich ein Oberarzt kontrolliert und während ruhigeren Zeiten erhalte ich ein ausgezeichnetes Teaching. Die Anamnese in Französisch, vor 2 Wochen noch ein Ding der Unmöglichkeit, geht zum Glück schon viel besser und auch die wichtigsten Medikamentendosierungen sind mir langsam geläufig, aber trotzdem falle ich jeweils abends völlig erschöpft ins Bett. Ich betreue immer so zwischen 4 und 8 Patienten stationär und sehe gegen 15 Patienten ambulant pro Tag. Häufige Krankheiten sind Malaria, Meningitis, Tuberkulose oder Beschwerden mit dem Bewegungsapparat. Heute ist ein Kind, das als Notfall in einem krampfenden Zustand kam, während der Aufnahme trotz sofortiger Medikation an Meningitis gestorben, irgendwie hat mich das sehr berührt, auch darum, weil ich diesem Kind zugeteilt war und da der Tod eines 6 jährigen Knaben hier bei einer Kindersterblichkeit von etwa 15% nichts aussergewöhnliches ist. Andererseits ist die grosse Dankbarkeit der meisten Patienten für mich extrem ermutigend, so wollte mir ein Patient, dem ich einen Diabetes mellitus medikamentös behandelt hatte, nach der Konsultation Geld schenken und hat sich tausendmal bedankt. Sowieso ist hier alles viel einfacher als in Europa, so wurde das Tbc-Exsudat bei der therapeutischen Aszitespunktion ganz einfach in den nächsten Abfalleimer geleitet (steril war nur die Kanüle) und zur Lumbalpunktion ist es einem frei, ob man Handschuhe anziehen will oder nicht.
In Galmi gibt es 2 Kirchen, die Sonntags-Gottesdienste sind jeweils in Haussa gehalten, so dass ich nichts verstehe. Letztes Mal bot sich mir ein Übersetzer an, aber sein leise gesprochenes Französisch verstand ich etwa so schlecht wie das Haussa des Predigers. Ein Highlight ist sicher der Chor, der zwar nicht immer die Töne trifft, aber dafür umso beschwingter tanzt. Verstärkung in den Proben erhält er seit neuerem durch die beiden Schweizerinnen Cornelia und Esther, die es auf jeden Fall extrem lustig haben im Chor. Die Freude der Einheimischen ist extrem ansteckend und ich gehe trotzdem ich nichts verstehe sehr gerne in die Kirche. Ich habe mich schnell an das Leben hier gewöhnt und aufgrund der vielen meist sehr schönen Erlebnissen das Gefühl, schon viel länger hier zu sein, als dass ich es in Wirklichkeit bin.
(11.04.06) Ina kwana! Nach den aufregenden ersten Tagen hier in der Sahelzone konnte ich mittlerweile etwas 'abkuehlen' und und mich hier einzuleben beginnen, nicht als Tourist sondern als Mitarbeiter. Die Arbeit im Spital fordert mich echt heraus, was einerseits extrem spannend und lehrreich ist und mir grossen Spass macht, mich andererseits aber auch an meine Grenzen bringt. Don, der Chefarzt dieses Spitales und Onkologe, ist echt ein genialer Chef! Er hat eine vaeterlich fuersorgliche Art und gibt jedem das Gefuehl, immer und fuer jedes Anliegen Zeit zu haben. Waehrend den Visiten und den Zeiten im OPD (Ambulatorium) erklaert er mit grossem Enthusiasmus immer wieder sehr interessante und komplizierte medizinische Zusammenhaenge, was natuerlich sehr lehrreich ist. Seine Devise ist, wenn man nicht als junger Arzt an seine Grenzen stoesst und nicht aus seinen Fehlern lernen kann und wenn man sich nicht voll fuer die Patienten einsetzt, dann wird man im spaeteren Leben Schwierigkeiten bekommen im Beruf oder besser gesagt die Patienten, die von einem behandelt werden... Dieser Philosophie nach ging es dann fuer mich nach einer Woche Einfuehrung los mit 24 Stunden Notfalldienst, wo ich ganz alleine entscheiden musste und Fehler erst am naechsten Morgen auf der Visite bemerkt werden konnten. Momentan habe ich jeden dritten Tag Notfalldienst.
Am Sonntag hatte ich meinen ersten Gast in meinem komfortablen Haus. Chris, ein amerikanischer Peaceworker (Regierungsbasierter Friedensaktivist der USA) ist etwa in meinem Alter und lebt seit 2 Jahren waehrend der Woche in einem Dorf ganz in der Naehe vom Galmi-Spital und hilft den Menschen dort in der Landwirtschaft. Durch den sporadischen Kontakt mit den Christen hier in Galmi war er so beeindruckt von der Liebe zu Gott, dass er Jesus in sein Leben aufnahm. Es war echt cool, bei einem improvisierten Nachtessen aus Fertigpasta mit Schweizer Schokolade zum Dessert etwas zu diskutieren. Er war ausserdem froh, wieder mal richtig ausschlafen zu koennen am Montagmorgen, was im afrikanischen Dorf nicht moeglich sei.
Ich lerne hier sehr viele Menschen aus allen Teilen der Welt kennen, da war ich letzte Woche einmal bei einer Familie aus Singapoor zum Nachtessen eingeladen, einmal bei Amerikanern, und im Spital treffe ich immer wieder Leute von Aerzte ohne Grenzen, von auf die UNO basierenden Gruppen oder von anderen NGOs, die meist etwas abseits der grossen Zentren arbeiten. Mich fasziniert daher die Arbeit hier extrem, wenn ich mir auch des oefteren bessere medizinische Moeglichkeiten wie Beatmungsgeraet, Isolierzimmer oder gar Intensivstation wuenschen wuerde, um den einen oder anderen Patienten retten zu koennen. Stark beeindruckt bin ich durch die hier anwesenden Langzeit-Mitarbeiter, sie verzichten auf vieles, was sie in ihren Heimatlaendern an Komfort und Geld haben koennten, um mit einem grossen Eifer fuer die Bevoelkerung hier dienen zu koennen. Die Aerzte, mit denen ich zusammenarbeite, sind vom medizinischen Koennen her genial und dazu strahlen sie eine ansteckende Freude aus.
Hier noch ein Auszug aus meiner Notfallschicht vom 10.04.2006: Morgens um 0730 bei Beginn der Visite begann meine Notfallschicht, da erfuhr ich, dass einer meiner Patienten mit Tetanus gegen aerztlichen Willen nach Hause gegangen sei und dass soeben eine andere Patientin gestorben sei. Waehrend ich noch nachdachte, ob ihre Todesursache eher in einem Rugbyball-grossen Tumor im Unterbauch oder aber in der seit vier Tagen bestehenden Meningitis zu suchen sei, wurde ich zu meinem ersten Notfall gerufen. Ein Mann in meinem Alter lag im Koma, bei dem man fremdanamnestisch nur herausfand, dass er keinen Unfall hatte und vor 2 Monaten in der Hauptstadt vom Niger wegen Oedemen behandelt worden sei. Die klinische Untersuchung ergab wenig handfestes, Odeme waren keine mehr vorhanden. Notfallmaessig wurde nur der Blutzucker bestimmt, weil man im Falle einer Hypo- oder Hyperglycaemie haette handeln koennen. Bei allen anderen Differentialdiagnosen ist man hier sowieso machtlos (v.a. Niereninsuffizienz, Drogenintoxikation, Leberversagen) oder man behandelt blind wie bei der Meningokokkenmeningitis... Es zeigte sich bei diesem Patienten eine aeusserst schwere Niereninsuffizienz und mangels Notfall-Haemodialyse starb dieser Patient im Verlauf des Tages. Irgendwie machte mich das sehr traurig, auch wenn es hier zum taeglichen Alltag gehoert, junge Menschen sterben zu sehen. Dann konnte ich mit der Visite beginnen, bemerkenswert war der Patient mit Sichelzellanaemie, der noch einen Haematokrit von 2% hatte, wahnsinn dass er immer noch am Leben ist. Diesem 8jaehrigen Knaben wurde notfallmaessig eine Blutkonserve verabreicht, die Garba, ein einheimischer Uebersetzer, gespendet hat. Einer weiteren Patientin mit offener Tuberkulose und einem Tennisballgrossen Lungenabszess ging es erfreulicherweise unter hochdosierter Antibiotikatherapie etwas besser, ihr Atem roch aber noch immer fuerchterlich. Die Arbeit im OPD war wie immer sehr spannend, da kamen Patienten mit einer neonatalen Sepsis bei Hausgeburt, einer Tuberkulose der Wirbelsaeule, Polio, einer undefinierbaren Dermatose, einem tropischen Hepatosplenomegaliesyndrom (Hepatomegalie von mindestens 13 cm medioklavikulaer), einem Ulcus serpens oder psychologischen Bauchschmerzen wegen fortbestehender Kinderlosigkeit (was hier echt schlimm ist, vor allem da im gestrigen Fall die anderen beiden Ehefrauen desselben Mannes Kinder haben), um nur einige in der Schweiz seltene Krankheitsbilder von Patienten herauszupicken. Am Abend musste ich dann zuerst noch eine Patientin mit offener Tibiafraktur und einen Knaben mit einer Luxationsfraktur des Zeigefingers ansehen, bevor ich um 2300 Uhr noch 2 Patienten, die einen Motorradunfall hatten, aufnehmen musste, der eine im Koma. Dem bewusstlosen Patienten geht es heute immer noch gleich schlecht, der andere, gestern mit einem Blutdruck von 240 auf 120 mmHg aufgenommen, konnte erfreulicherweise heute bei relativ guter Gesundheit entlassen werden. Ich koennte noch viel mehr schreiben, denn das Spital hier hat einen guten Ruf bis in die 700 km entfernte Hauptstadt, ja sogar bis in den Sudan, und versorgt daher auch sehr viele Patienten mit meist sehr schweren Krankheitsbildern...
23.04.06 Ina uni! Letzten Samstag fragte mich ein Handwerker, der meine Dusche reparierte (um dem Vorurteil der Australier vorzubeugen, Europaer wuerden nie duschen), ob ich mit ihm nach Konni fahren wuerde. Konni ist eine der groessten und zentralsten Stadte vom Niger und liegt direkt an der Grenze zu Nigeria. Die Fahrt dorthin in einem Bush-Taxi, einem Kleinwagen, das in seinem Zustand in der Schweiz auf keinem Autofriedhof zu finden ist, war es schon wert, als Abenteuer bezeichnet zu werden. 7 Leute sassen so zusammengepfercht neben- und aufeinander und wurden auf der holprigen Strasse regelrecht durchgeschuettlet. Wenn ich mir vorstelle, dass fast alle Patienten so ins Spital transportiert werden, verwundere ich mich, dass sich Epidemien nicht schneller ausbreiten und dass die Patienten ueberhaupt den beschwerlichen Weg auf sich nehmen. In Konni angekommen, sah ich einen Afrikaner heftig winken, er war ein Patient, dem ich einen Diabetes behandelt hatte und als er mich gesehen hat, wollte er mir dafuer danken, irgendwie hat mich das gefreut. Das Ziel des Trips nach Konni war, dass der Handwerker seinen Fernseher zur Reparatur bachte. Der Elektriker, der draussen auf der staubigen Gasse das Fernsehgeraet Sueck fuer Stueck auseinandernahm und loetete was das Zeugs hergab, kam in den 7 Stunden Reparatur-Arbeit in einer bemerkenswerten Ruhe immer etwas naeher an das Ziel eines naja fuer hiessige Verhaeltnisse perfekten Bildes. Ich war beieindruckt von seiner Ausdauer, mit der er an diesem uralten Geraet herumbastelte und ich muss sagen, dass ich generell von der Arbeitsmoral der einheimischen Bevoelkerung sehr beieindruckt bin. Zu Mittag assen wir bei einem Freund, einem Kuehlschrankreaparateur. Das Ambiente war irgendwie fast schon kultig, wir assen unter einem Baum inmitten von etwa 40 uralten Kuehlschraenken, die schoen im ganzen Hof verteilt waren. Die Gastfreundschaft und das Essen waren genial.
Als wir uns auf den Rueckweg machten und ich mich schon wieder mit der Vorstellung, eingepfercht in einem Bush-Taxi zu reisen, abgefunden hatte, sahen wir gluecklicherweise und rein zufaellig einen robusten Jeep aus dem Spital. Die Richtung nach Galmi stimmte und so stiegen wir ein. Was wir nicht wussten war, dass die AIDS-Community-Care-Crew zuerst noch einen Vortrag in einem Dorf halten wuerde. Wir bogen also zwischen Konni und Galmi ploetzlich in eine Schotterstrasse ein, dass ich mich sogleich als Ralley-Copilot waehnte, da wir mit ueber 80 Sachen auf einer Schotterstrasse mit riesigen Schlagloechern dem Ziel entgegenrasten – wow war das cool! Der Vortrag, wurde unter dem einzigen Baum im Dorf in Anwesenheit des Dorfchefs natuerlich in Haussa gehalten. Ich war als einziger Weisser in diesem Dorf anwesend und konnte einen Augenschein ueber die Sitten und Gepflogenheiten der laendlichen nigerischen Bevoelkerung erhaschen.
Hier im Spital sehe ich sehr viel Leid und alleine schon darum bin ich sehr sensibilisiert auf alles Leiden. Manchmal ertrage ich es fast nicht, wenn wieder ein Kind in der Notfallaufnahme an einer Lungenenzuendung stirbt, weil die Eltern einfach viel zu spaet und erst nach Versagen der traditionellen Medizin ins Spital kamen oder wenn ein 12 jaehriges Maedchen durch traditionelle Medizin vaginal dermassen verletzt wird, dass es wegen der folgenden Infektion um ihr Leben bangen muss. Andererseits ist hier kulturbedingt kein Patient oder Angehoeriger je wuetend auf den Arzt (mit oder ohne Grund), wie das in der Schweiz oft der Fall ist, sondern die Mutter bedankt sich meist noch, wenn gerade ihr Kind gestorben ist. Krass sowas und meine Schweizer Logik ist hier fehl am Platz.
01.05.06: Ina eiki! Gestern fand ich endlich den Skorpion in meinem Haus, der mir vor zwei Wochen entwischt war. Am Anfang war es etwas gewoehnungsbeduerfig, das Haus mit einem sich gut versteckenden Skorpion zu teilen, aber mit der Zeit gewoehnt man sich ganz gut daran. Auch gut zu wissen war, dass ein Skorpionstich aus dieser Gegend ohne anaphylaktische Reaktion zwar fuer 20 Stunden aesserst schmerzhaft aber nicht toedlich ist. Ganz sicher, ob nicht noch ein zweiter oder gar dritter Skorpion sich irgendwo im Haus versteckt, kann ich natuerlich nicht sein, aber wenigstens ist dieser eine fotografierte Skorpion mal draussen. Die Skorpione sind hier so zahlreich und gefuerchtet, dass sie sogar auf allen Geldscheinen und Muenzen der westafrikanischen Waehrung CFA abgebildet sind. Ausser den Skorpionen gibt es noch weitere coole Tiere, wie das "Maennchen des Skorpions". Dieses etwa Handteller grosse und flache Tier, das mich etwas an einen flachgedrueckten Krebs erinnert, ist pfeilschnell und zischt foermlich von einer Ecke des Raumes in die andere, so dass einem im ersten Schock nur der rettende Sprung auf einen Stuhl bleibt. Ahnscheinend seien Bisse von diesen Tieren auch schmerzhaft, aber weit weniger als Stiche eines Skorpions. Weiter habe ich bisher Vogelspinnenahnliche und handteller grosse Spinnen, eklige Kaefer, die Saeure spritzen koennen sowie Gekkhos und Eidechsen in allen Farbkombinationen und als schoene kleinere Tiere Chamaeleons, Igel, und Schwalben gesehen. Eine Schlange wird zwar von Zeit zu Zeit gesichtet auf dem Compound, aber noch nie von mir, was so vielleicht auch ungefaehrlicher ist... Vor zwei Wochen verkaufte ein Mann Medikamente vor dem Spital, und zur Ilustration, wie gut seine Medikamente Skorpione und Schlangen, wovor die Einheimischen Respekt bis Angst haben, vom Leibe halten, hatte er in einem Tonkrug zwei Schlangen und drei Skorpione, die er zur Demonstration ueber seinen Koerper und sein Gesicht krabbeln und kriechen liess. Die Zuschauer und auch die Kaeufer seines Wundermittelchens waren ihm auf sicher.
Letzte Woche konnte ich Chris, der Friedensaktivist von dem ich in einem frueheren Mail geschrieben habe, in seinem Dorf besuchen. Er lebt als einziger Weisser in Belinda, einem Dorf nahe der Nigerianischen Grenze etwa 7 Kilometer von Galmi entfernt, das von Haussa und Fulani (zwei Ethnien, die hier friedlich zusammenleben) gemeinsam bewohnt wird. Er besitzt im Dorf ein etwa 9 Quadratmeter kleines Mud-Huettchen, das einen bescheidenen Vorplatz und ein Outdoor-Plumpsklo aufweist, was hier schon fast als Luxus zu werten ist, ein Bike, einen Esel und seit neuem ein Kamel! Ich war schwer beeindruckt ueber die Bescheidenheit und gute Angepasstheit von Chris. Dazu gehoert auch, dass er mit gut 20 Liter Wasser pro Tag auskommen muss, wovon ich ihm an meinem Besuchstag schon gut 5 Liter weggetrunken habe. Wir schauten uns am Morgen zuerst die Baustelle an, die Chris durch Gelder der UNO initiieren konnte. Dabei wird ein Damm gebaut, um in der Regenzeit die Erosion einzudaemmen und somit das wertvolle Ackerland nicht weiter wegschwemmen zu lassen und um mehr Grundwasser zurueckhalten zu koennen. Obwohl die Baustelle recht gross ist, findet sich keine einzige Baumaschine vor Ort, sondern etwa 50 Maenner schaufeln, schleppen und bickeln unermuedlich unter der unbarmherzig brennenden Sonne (Temperatur im Schatten immer etwa 45 Grad) waehrend ich beim Zusehen beinahe einen Kreislaufkollaps erlitten haette... Am Abend weihten wir als Tages- wenn nicht gar Monatshoehepunkt einen neurestaurierten Brunnen ein, der zuvor waehrend knapp 20 Jahren nicht gebraucht werden konnte und ebenfalls auf Initiative von Chris nun wieder restauriert worden ist. Dieser Brunnen liegt sehr nahe dem Dorf, und erleichtert damit das Wasserholen ungemein, denn die Velofahrt zum naechten Wasserloch und zurueck war so lange, dass sie mich gut zwei Liter Wasser an Trinkfluessigkeit gekostet hat.
Diejenigen Menschen, die echt arm sind und sich daher keinen Esel (kostet etwa 90 Euros) leisten koennen, mussten das Wasser vor der Wiedereinweihung somit auf dem Kopf ins Dorf hineintragen. Der neurestaurierte Brunnen geht etwa 100 Meter in die Tiefe und habe laut Pruefkommission im Niger sehr sauberes Wasser. Darum und auch weil es kulturell sehr wichtig ist, habe ich das Wasser zur Einweihung ungefiltert getrunken.
Am Freitag hatte ich die Moeglichkeit, eine christliche Schule zu besuchen, die einen sehr guten Ruf hat im Dorf. Daher schicken auch die meisten Eltern, die es vermoegen, ihre Kinder in diese Schule. Eine Lehrerin und ein Lehrer unterrichten zusammen gegen 100 Kinder und haben eine erstaunliche Ordnung waehrend den Unterrichtszeiten. Der Lehrer, den ich auch von der Kirche her kenne, ist echt ein genialer Typ, er strahlt eine extreme Coolness und Liebe gleichzeitig aus und die Kinder sind echt begeistert von seinem Unterricht. Was ich auffallend finde ist, dass man hier ohne Probleme biblische Geschichten erzaehlen kann, wobei die Mehrheit der Kinder Moslems sind, waehrend in der christlichen Schweiz die Lehrkraefte schon wegen einem oder zwei Kindern einer anderen Religion in der Klasse unglaublich zurueckhaltend sein sollten im Erzaehlen der Ostergeschichte (hier gilt es als Anmerkung zu sagen, dass im Islam neben dem Koran auch die Buecher Moses (Torah), die Psalmen (Zabur) und die 4 Evangelien (Injil) als wichtig gelten). Ausserdem arbeitete ich in der Kinderarbeit im Dorf mit, was mir echt Spass macht! Die Kinder hier koennen sich an sehr wenigem erfeuen und sie haben grossen Spass, wenn ich mit ihnen Fussball spiele. Ich denke, ich werde an der bevorstehenden Fussball-WM, fuer alle afrikanischen Teams „fanen“ (wenn sie nicht gerade gegen die Schweiz spielen). "ina eiki" heisst uebersetzt "wie gehts mit der Arbeit" und ist Teil eines standadisierten und langen Begruessungsritual hier. Die Antwort ist immer positiv, auch wenn man gar nicht am arbeiten ist...
17.05.06: Ich wurde angefragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, dem Spital zu spenden und ob dies überhaupt sinnvoll sei. Das Spital in Galmi ist einerseits ein privates Spital der SIM (www.sim.ch), andererseits hat es einen Auftrag der nigerischen Behörden zur medizinischen Versorgung der Region, die einen Umkreis von etwa 50 bis 100 Kilometer einschliesst. Die Kosten, einen Arzt zu sehen, sind in Galmi pro Patient mit umgerechnet 5 CHF um einiges tiefer und die Wartezeiten sind ausserdem um einiges kürzer als in umliegenden Spitälern. Dies ist nur möglich dank der Hilfe aus den reicheren Ländern. Die ‚weissen Doktors’, wie ich einer war, arbeiten umsonst und bezahlen darüber hinaus noch für Kost und Logie und das Spital wird auch mit Hilfsgütern aus aller Welt versorgt (Medikamente, Operationsuntensielien). So sendete zum Beispiel Rahel Röthlisberger, eine Ärztin des Inselspitals, die letztes Jahr in Galmi war, einen grossen Container mit medizinischen Hilfsgütern aus der Schweizer Armee und einigen Spitälern nach Galmi. Die Freude der afrikanischen Angestellten, die daraus am Tag der Arbeit als Dank ein kleines Geschenk (Tuch mit Seife und Bürstchen) erhalten haben, und die Erleichterung bei den Ärzten, die seither wieder genügend Operationsuntensilien zur Verfügung haben, war sichtlich sehr gross.
Mir persönlich scheint die Problematik mit der Armut in einem Drittweltland wie dem Niger vielseitig. Die Trägheit der einheimischen Bevölkerung, etwas zu ändern, ist für mich und meine Kollegen aus der ‚reichen Welt’ einer der Hauptgründe für die Armut. So wurde beispielsweise ein Ziehbrunnen mit sauberem Wasser mitten in einem Dorf nahe Galmi nach dessen partiellen Einsturz vor gut 20 Jahren nicht restauriert, sondern die Dorfbewohner gewöhnten sich daran, unter der brütenden Sonne einige Kilometer zur nächsten verschmutzten Wasserstelle zu gehen, um an Wasser zu gelangen. Jetzt erst konnte der Brunnen dank amerikanischer Hilfe und der UNO restauriert werden und die Dorfbewohner mit Wasser versorgen, weil vorher nie jemand ernsthaft an eine Investition in Form einer Brunnenreparatur gedacht hatte. Weitere Gründe für die Armut erscheinen mir die enorme Trockenheit, die jährlich eine mehr oder weniger schlimme Nahrungsknappheit von April bis August nach sich zieht, sowie die für westliches Verständnis medizinische Unterversorgung, da viele Menschen aus den abgelegenen Dörfern nur sehr erschwerten Zugang zu einem Spital haben. Als sehr wichtigen Punkt für die bleibende Armut in einem Land wie dem Niger fiel mir die Abwanderung der meisten Einheimischen mit guter Schulbildung an einen florierenden Ort auf. So erschien eines Tages ein sehr gesund aussehender Afrikaner mit Sonnenbrille und bestem Englisch im Spital als Besucher; er war ursprünglich aus Galmi und hatte von einem amerikanischen Arzt ein Stipendium erhalten, mit dem Ziel in den USA Informatik zu studieren um dann später im Spital Galmi eine Führungsposition ausüben zu können. Der Plan ging nicht auf, denn der Nigerer heiratete kurzerhand eine Amerikanerin und arbeitet nun für eine Softwarefirma in den USA, was für ihn persönlich sicher ein besseres Leben darstellt, aber für die Region natürlich nichts bringt. Ein Engagement von einzelnen Personen wie zum Beispiel von den westlichen Ärzten in Galmi oder dem Friedensaktivist Chris kann sehr viel zum Guten wenden, auch darum, weil die Einheimischen sehr gerne bereit sind, (nicht finanzielle) Hilfe anzunehmen. Die Schweiz mit dem UNO-Sitz in Genf, hat verhältnismässig viele Entwicklungshelfer im Land und geniesst bei den Nigerern einen besonders guten Ruf. Daher war für mich die Kommunikation mit der einheimischen Bevölkerung auch sehr angenehm und immer freundlich. Und da viele Entwicklungshelfer, die ich getroffen habe, für ihren Lebensunterhalt selber aufkommen müssen, braucht es Spendengelder aus den reicheren Regionen der Welt. Gespendet von grossen Pharmafirmen und der Regierung werden im ganzen Niger zum Beispiel die HIV Therapie mittels Dreierkombination und die Therapie der Tuberkulose. Wenn also Spendengelder sinnvoll und der Allgemeinheit dienlich eingesetzt werden, kann sehr viel erreicht werden, und das ist schön zu sehen.
Einige Patienten können sich eine sehr teure stationäre Therapie nicht leisten und sind darum auf finanzielle Unterstützung angewiesen.
Erfreut war ich, als mir im 800 km entfernten Agadez ein einheimischer Patient hallo sagte, der momentan alle 2 Monate den weiten Weg nach Galmi in Kauf nimmt, um seine Krankheit behandeln zu lassen, oder als sich ein Patient schnell von einer sehr schweren Infektionskrankheit erholte oder als ich von einem Einheimischen zu einem Nachtessen mit nachfolgendem „Ausgang“ in Galmi eingeladen wurde. Ich erinnere mich an die Reparatur der uralten Flimmerkiste vom afrikanischen Werkstadtmitarbeiter und an seine Freude, als sich nach über 7 stündiger Reparatur wieder ein einigermassen sehenswertes Bild auf der Mattscheibe abbildete - Freude kommt definitiv nicht vom guten Fernseher... Ich konnte sehr viel lernen in Galmi und nehme nicht wenige Eindrücke aus Afrika in meine Zukunft mit.
Die extrem spannende, interessante und schöne Zeit im Niger habe ich mit einer einwöchigen Reise in das Air-Massiv der Sahara-Wüste abgerundet. Wow; ich war extrem begeistert von dieser fantastischen Schönheit der Landschaft, der unermesslichen Ruhe und Weite der Sahara und der Freundlichkeit der wenigen einheimischen Bewohner. Diese Ferien zählen bestimmt zu meinen schönsten und unvergesslichsten, auch weil wir ein geniales 4er Team waren, von zwei echt netten und kompetenten Tuareggs (Fahrer und Koch) begleitet wurden und in der Ruhe der Wüste viel Zeit zum Nachdenken hatten. Und einmal eine Oase in Wirklichkeit zu sehen oder auf Sanddünen Purzelbäume zu schlagen, ist an Faszination beinahe nicht mehr zu übertreffen – da gewähren die oben gezeigten Bilder wenigstens einen kleinen Einblick in die wunderschönen Landschaften der Sahara!
Wenn jemand dem SIM-Spital in Galmi etwas spenden möchte, kann er es direkt der SIM spenden mit der Möglichkeit, in der Schweiz den Betrag von den Steuern abzuziehen: Konto-Nr: 10-2323-9; zugunsten von SIM International (Suisse), 2502 Biel/Bienne mit dem Vermerk „Galmi Hospital (general fund) 30.84400“
© Andrea & Andreas Hochstrasser.